Tja, wo soll man da beginnen?

Vielleicht dort, wo Skipper Reinhard noch sooo weit weg war vom jetzigen Leben. Im Stress des braven Steuerzahlers, der sich 90 Stunden die Woche damit beschäftigt, eine Firma am Laufen zu halten, Gehälter für die Mitarbeiter zu lukrieren und auf eigene Kosten brav dem Finanzamt vorrechen lässt, wieviel man abgeben darf. Wenn endlich mal etwas Butter am Brot zu bleiben schien kamen Konkurse von Partnern und Kunden und es verblieb von der Butter dann soviel wie von einem kalbenden Eisberg nach 6 Monaten am Äquator.

Das Aufreibendste jedoch waren die langen Trennungen von seinen Liebsten, da ihn die meisten Jobs und Aufträge ins Ausland führten - Länder, die ganz gewiß nicht auf der Wunschliste von Urlaubsreisenden stehen. Vom damaligen Bürgerkriegsland Libanon über die ehemalige UdSSR, Algerien, Syrien, Burma, Nord-Irland, ...

Die Aufträge erforderten oft eine durchgehende Aufenthaltszeit von mehr als einem Jahr am Einsatzort.

Irgendwann mal geschafft, mehr Arbeitszeit in Österreich zu verbringen. Doch auch hier waren das einzig lebenswerte die kurzen Wochenenden zum segeln auf unserer Allegria am Neusiedler See.  Alles in allem war es der Aufwand nicht wert, die Kinder gingen andere Wege, also kurzerhand Schlussstrich gezogen und guten Job angenommen im schönsten Teil Österreichs, in Vorarlberg. Dort schon beinahe sesshaft geworden, abgeworben von einem grossen Konzern mit vielen Versprechungen (leider, mein tollster Arbeitgeber war in Bludenz). Dem Konzern bei einem Großprojekt im Ausland sozusagen "die glühenden Kohlen aus dem Feuer geholt". In dieser Zeit erlitt Martina einen schweren Schlaganfall - Ihr Überleben hing an einem seidenen Faden, sie schien im rasenden Rettungswagen mehrmals zu kollabieren. Nach einer Erstversorgung in den Niederlanden wurde Martina per Notflug nach Österreich gebracht, wo man die völlige einseitige Lähmung und den Sehfeld-Ausfall so gut es ging zu behandeln versuchte. Der liebe Konzern liess uns völlig in Stich und beantwortete keines von Reinhard´s  hilfesuchenden Emails hinsichtlich e-card, Versicherung, etc. - also keine Hilfe, eher im Gegenteil. Reinhard musste nun Montag bis Freitag schuften und dabei auch noch die Arbeit von Kollegen erledigen um dann am Wochenende nach Österreich zu fliegen zu seiner nun schwer behinderten Martina. Nachts beschäftigte er sich mit Gesetzestexten und Schriftverkehr mit seinem Arbeitgeber, den Krankenhäusern in Holland, Ärzten, Sozialversicherungen. Martina befand sich im Rollstuhl, war halbseitig gelähmt und sie hat seither nur einen begrenztes Sehfeld. Nach Intensivstation, Rettungsflug nach Österreich, Spitalsaufenthalt und 2 Rehas konnte Martina wieder nach Holland in den gemeinsamen Haushalt. Eine 24h - Hilfe im Haus war jedoch unerlässlich. Eine Therapeutin in Zaandam meinte, der jetzige Zustand wird sich nicht mehr ändern, was natürlich einen Zusammenbruch für Martina bedeutete. Viel mentaler Beistand und eiserner Wille brachten Martina letztlich dahin wo sie nun Ihre Frau steht: an Bord der Exit Strategy, unserem Urlaubsheim, Reha-Station und Fortbewegungsmittel. An dieser Stelle möchten wir die Anmerkung anbringen, dass ein grosser Teil der entstandenen Kosten selbst getragen wurde (24 h - Hilfe und Privattherapeutin, unzählige Flugtickets, Übungsgeräte, Spezialfahrrad für 2 Personen (alleine dieses kostete second hand € 17.000!), Behandlungen in Thailand (unübertroffen!) ...

Auch bei Skipper Reinhard war aufgrund des Stresses mental schon ziemlich angeschlagen und sein Job wurde letztlich, wie es so schön heißt: "abgebaut" - ohne Chance, in dem Gebiet wieder tätig zu werden, v.a. auch gleichzeitig neben der Arbeit für Martina da zu sein. Reinhards Nerven lagen sowieso schon sehr blank und lange wäre es wohl nicht mehr möglich gewesen, sich derart zu verausgaben. 

Vor die Wahl gestellt "Sozialfall" oder "Leben selbst in die Hand nehmen", war es klar, letztere Option zu wählen. Brandmarkungen mittels Behinderten-Ausweis oder Burnout-Syndrom sind für uns nicht erstrebenswert. So entschlossen wir uns, nach einem Kassasturz und einiger Überlegung, vorübergehend wieder nach Thailand zu reisen um Martina besser behandeln lassen zu können - wir haben da im Zuge eines Urlaubes einen ganz besonders begnadeten Therapeuten kennen gelernt. Die Massagen und Behandlungen da bewirken schon einiges und sind sehr zu empfehlen - Methoden, die es leider in Europa so nicht gibt. Also entschlossen wir uns, alles bereits über Jahre nicht benötigte Zeug zu verkaufen, um den Aufenthalt finanzieren zu können. Das Leben war einfach und auf das Wesentliche beschränkt, aber stresslos - eine merkbare Erholung für uns beide. Erstaunlich, wieviel vorher wichtig erscheinendes nun gar nicht abgeht. Wie "Arbeit" (ist es in diesem Zusammenhang eigentlich das richtige Wort?) Spass machen kann, wenn man es entgeltlos macht um jemand zu helfen - und wie man gibt, kommt auch wieder vieles - oder sogar mehr - in anderer Form zurück. Freundschaften werden nicht in Geldbeträgen ausgedrückt ... 

Der Anblick des Meeres und die teilweise Mithilfe auf einem Katamaran während der Urlaube auf Koh Samui erweckten wieder das Bedürfnis, wie früher ein eigenes Boot zu besitzen (tja, der Segler-Virus. Kenner wissen, was gemeint ist ...). Etliche Schiffe wurden besichtigt, letztlich wurde die Idee eines Katamarans verworfen, da sowohl in der Anschaffung als auch im Betrieb zu teuer. Als Vernunftlösung hinsichtlich Sicherheit, Werterhalt, Wohnlichkeit und vielen andern Faktoren (v.a. Eignung für Martina hinsichtlich Sicherheit, Ein-/Ausstiegsmöglichkeit, Schlafplatz, kurze Distanzen, Festhaltemöglichkeiten, etc.) kristallisierte sich irgendwann heraus, es muss eine Ovni 435 sein.

Eine 435er wurde uns in Neukaledonien vor der Nase weggeschnappt, die nächste befand sich zum Verkauf  in der Türkei.

Langer Rede kurzer Sinn, dieses Schiff wurde unsere Exit Strategy, auf der wir nun leben. Unser Haus in Berndorf war nicht mehr unseren Bedürfnissen gerecht: zu groß, zu viel Erhaltungsaufwand, etc. Daher Tausch des ehemaligen Hauses in Berndorf / Niederösterreich gegen eine kleine Wohnung und ein Schiff. Es sei noch angemerkt, dass wir selbstverständlich noch in Österreich wohnen und dort auch Einkünfte erwirtschaften und versteuern. 

Nun, nach einiger Zeit Erfahrung können wir feststellen, daß unsere Veränderung die richtige Wahl war: Österreich mit Familie und Freunden sowie der unübertroffenen guten Küche - und Asien mit der Wärme, Freundlichkeit der Menschen, die Beachtung der Würde auch behinderter Personen, günstige Lebenserhaltungskosten. Martina wird dank der kleinräumigen Umgebung am Schiff trotz der noch vorhandenen schweren Handycaps immer selbstsicherer in ihrer vertrauten Umgebung, auch Skipper Reinhard findet nach all dem Streß und Ärger seine innere Ruhe wieder. Aber am wichtigsten: Martina ist nun nie mehr alleine, eine gänzlich neue Erfahrung, nachdem Reinhard beruflich meist sehr lange ins Ausland entsendet wurde und beide während der gesamten aktiven Zeit Reinhard´s wiederholt lange Zeiten getrennt waren ... (und NEIN, wir haben kein Problem damit ;-)...)